Artikel in der Nürtinger Zeitung vom 05. Februar 2013, Von Jürgen Lempelius

Zwei Schulen als „soziale Skulpturen“

Ausstellung, Autobiografisches und Videofilme zum 85. Geburtstag des Künstlers und Schulgründers K. H. Türk

K. H. Türk
Geburtstage sind Gelegenheiten, sich an das Lebenswerk eines Verstorbenen zu erinnern und es den lebenden Menschen ins Gedächtnis zu rufen. Am 30. Januar dieses Jahres wäre der Bildhauer und Schulgründer K. H. Türk 85 Jahre alt geworden – Anlass zu einer würdigen Feier in den Galerieräumen des Nürtinger Forums Ilse und K. H. Türk.

Da dieser Verein seit dem Winter 2008 in wiederkehrenden Ausstellungen mit jeweils neuen Inhalten das Lebenswerk des Künstlers K. H. Türk der Öffentlichkeit präsentierte, war die diesjährige Gedächtnisveranstaltung gleichzeitig ein besonderes Jubiläum für die Verantwortlichen dieses Forums.

Dabei wolle das Forum Türk auch weiterhin – wie in der Vergangenheit – keine Gedenkstätte für die Türks, erst recht kein Türk-Mausoleum, sondern ein lebendiger Kunstort sein, der offen ist für möglichst viele Erscheinungen der Gegenwartskunst und -pädagogik, sagte Professor Dr. Albrecht Leuteritz bei seiner Begrüßung.

Zu den Aktivitäten des Vereins gehören neben Ausstellungen von Kunststudenten und von – mehr oder weniger renommierten – Gegenwartskünstlern auch Kinder-Werkstätten, Kabarett-, Theater-, Musik- und Vortragsveranstaltungen.

Für diesen Geburtstag hatte man eine kleine exemplarische Ausstellung von Türks Kunstwerken vorbereitet: Um die große Spannweite im Schaffen dieses Bildhauers und Plastikers zu verdeutlichen, wurden aus jeder Werkgruppe einige Exponate herausgegriffen und diese übersichtlich in der Galerie positioniert.

Aus der Anfangszeit von Türks Schaffen stammen einige Großskulpturen aus Holz und aus Stein, allerdings nicht die bekannten zentnerschweren Metallgüsse der Serie „Voluntas“, die sich nur mit schwerem technischen Gerät bewegen lassen.

Weiterhin zwei Beispiele seiner Porträtköpfe, darunter der in Bronze gegossene Kopf von Ottomar Domnick. Eine zahlenmäßig kleine Werkgruppe sind die in Kupfer getriebenen Reliefs, zum Beispiel die wie ein Fries wirkende Schöpfungsgeschichte mit stilisierten Figurationen von Kosmos, Pflanzen, Tieren und Mensch.

Schon früh begann Türk damit, sich Meditationsbilder nach Vorgabe seiner eigenen Imaginationen zu gestalten: zuerst in Holz, dann in Messing und zuletzt in Glasschichtungen. Als spirituell veranlagter, künstlerisch tätiger Mensch nimmt diese Werkgruppe bei ihm einen breiten Raum ein. In einer Broschüre gibt Türk Hinweise, wie der Betrachter sich in diese Meditationszeichen hineinbegeben kann.

Ganz im Gegensatz zu allem bisherigen Schaffen stehen die als Kleinbronzen bezeichneten Plastiken, in denen er seine Geschichten aus der Umwelt und dem Sportgeschehen erzählt. Am amüsantesten ist hier wohl der bekannte Zirkus mit vielen Menschen und Tieren in lebendiger Aktion.

Nach Umfang und öffentlicher Wirkung am bedeutendsten muss schließlich Türks Wirken im Bereich der Kunst am, im und um den Bau bezeichnet werden: Seine raum- und wandhohen, teils in Beton geprägten, teils in Stein gehauenen Großreliefs, seine Brunnen und frei stehenden, teils begehbaren Großskulpturen, seine blockhaften Kirchenausstattungen, seine Fassaden- und Wandgestaltungen. Beispiele in Nürtingen findet man im Stephanus-Haus im Roßdorf, im Psychiatrischen Krankenhaus, auf dem Hof des Hölderlin-Gymnasiums und am Amtsgericht.

Als besondere Werkgruppe bezeichnete Leuteritz die beiden „sozialen Skulpturen“. Gemeint sind Türks Schulgründungen hier in Nürtingen: Die Freie Kunstschule Nürtingen und die aus ihr hervorgegangene Hochschule für Kunsttherapie, die er zusammen mit Professor Jürgen Thies, Professor Walter Zifreund und seiner Frau Ilse gegen viele Widerstände durchgesetzt und bundesweit etabliert hat.

Das seien „Skulpturen“, in die man hineingehen und für andere Menschen tätig sein könne. Was K. H. Türk so unverwechselbar mache, so Dr. Leuteritz, das sei zum einen die enorme künstlerische Vielseitigkeit, zum anderen aber auch das soziale Engagement und vor allem die Spiritualität, um die er ein Leben lang gerungen habe.

Stets wollte er den Dingen auf den Grund gehen. Ganz erstaunlich sei, dass Türk neben all den vielen Aufgaben, die er sich im Laufe der Jahre aufgeladen hatte, auch noch Zeit fand, eine Reihe von Büchern ganz unterschiedlicher Thematik zu schreiben.

Das aufschlussreichste seiner schriftlichen Werke ist die nach seinem Tode erschienene Autobiografie „Bilanz meines Lebens“, ein Rückblick von seiner Kindheit bis zur Zeit kurz vor seinem Tod im Jahr 2001. Im Hinblick auf die in den 70er-Jahren entstandenen Pläne, eine Kunstschule zu gründen, sind die Ausführungen dieses Buchs von besonderem Interesse.

Christine Kiedaisch und Jürgen Lempelius hatten es am Geburtstagsabend übernommen, den Zuhörern einen Einblick in diese Zeit zu geben, indem sie das betreffende Kapitel vortrugen.

Als gebürtiger Schlesier sei ihm die neue schwäbische Heimat bald vertraut gewesen, aus dem einfachen Grund, weil ja die schlesische Mentalität und die schwäbische von der Wurzel her einander ähnlich seien. Imponiert hat ihm immer die schwäbische Schlitzohrigkeit, die er durch eine Anekdote aus seinem Umfeld belegt.

Ein Anliegen war ihm die „Kunst des Gesprächs“, die unter anderem im Hardter Kreis gepflegt wurde. Auch seine Lust am Schreiben muss hier erwähnt werden, jedoch nicht als „Literat“. Denn Türk schrieb: „Meine Gedanken orientierten sich an praktischer Erfahrung.“ Jahrelang habe er an seiner Kunst- und Kulturgeschichte mit dem Titel „Wir sind noch immer der erste Mensch“ gearbeitet. Die in den 50er-Jahren noch billigen Bauplätze in Hardt hatten das Ehepaar Türk von Stuttgart nach dort gelockt; Nürtingen war damals für sie weiter entfernt als Chicago, heißt es.

Beruflich ging es aufwärts; die Aufträge, die ihn weit in Deutschland herumführten, kamen über die Kunst am Bau zu ihm. So benötigte er Helfer; immer mehr junge Bildhauer wollten als Volontär bei ihm beschäftigt sein.

Es entstand die Idee von der Gründung einer Schule, für die man ein einfaches Gebäude in Nürtingen suchte. Oberbürgermeister Martin Gonser bot ihm das bekannte Haus an der Laiblinstegstraße an, damals ein vollständig heruntergekommenes und abbruchreifes Gebäude. Ohne Zeichnungen und „roten Punkt“ ging Türk zusammen mit zwei Studenten an die Sanierung – mit der Folge, dass die Genehmigungsbeamten einschritten und der Bau zunächst eingestellt werden musste. Doch schließlich war der Umbau geschafft und die Zeitung titelte: „Dozenten und Studenten bauen ihre Schule selbst“. Im Mai 1977 konnte der Unterricht beginnen, und da das Raumangebot bald zu klein war, überließ man Türk noch weitere drei alte Gebäude.

In der Autobiografie schildert Türk die teilweise dramatischen Vorgänge mit Hausbesetzungen und Kämpfen gegen Feuersbrunst und Abrissbirne. Immerhin rund 150 Studenten und zeitweilig noch mehr belebten nach 1980 die verschiedenen Unterrichtsräume, Ateliers und Werkstätten.

In seinem Lebensrückblick setzt sich K. H. Türk kritisch mit dem politischen Umfeld in jener Zeit auseinander: Ihn ärgerte es mächtig, dass die Stadtverwaltung jahrelang intakte Gebäude vergammeln ließ und sich viel zu spät zu klaren Entscheidungen durchringen konnte. Das gesamte gesellschaftliche System mit immer noch mehr Schulden war ihm äußerst suspekt, und so geißelt er mit harschen Worten die kriminellen Machenschaften in Wirtschaft und Politik.

Zum Abschluss des Abends präsentierte Leuteritz eine Reihe von Videofilmen, entstanden in der Zeit zwischen 1989 und 1998. Alles in allem kostbare Ton-Bild-Dokumente, die den Menschen K. H. Türk lebendig erstehen lassen.



Artikel in der Nürtinger Zeitung vom 05. Februar 2013, Von Eckhard Finckh

Großer Elan für kulturelle Aufbauarbeit
in Nürtingen

Jürgen Thies referierte beim Symposium anlässlich des 85. Geburtstags
von K. H. Türk

Jürgen Thies referierte

Referierte profund über K. H. Türk als Schulgründer:
Professor Jürgen Thies. ef


Der Eröffnungsvortrag beim Symposium zum 85. Geburtstag von K. H. Türk trug den Titel „20 gemeinsame Jahre mit dem Ehepaar Türk an der Freien Kunstschule Nürtingen (FKN) und der Hochschule für Kunsttherapie (HKT)“.

Eingeladen zu der Vortragsreihe in der Sigmaringer Straße hatte das Forum Ilse und K. H. Türk. Als Referent trat Professor Jürgen Thies, Vorstandsvorsitzender der Stiftung für Kunst und Kunsttherapie, ans Rednerpult.


Schnell zeigte sich, dass Thies in besonderer Weise dazu berufen war, einen faktenreichen Rückblick auf die stürmische Entwicklung der beiden Nürtinger Bildungseinrichtungen zu ermöglichen, gehörte er doch seit der Gründungsversammlung des Vereins Freie Kunstschule im Jahr 1976 zu dessen Mitgliedern.

Er selbst, damals Direktor der Deutschen Bank in Nürtingen, wurde zum Schatzmeister des neuen Vereins gewählt, Karl Heinz Türk war Vorstandsmitglied für die künstlerischen Belange. Der Vorstandsvorsitzende war Hans Binder, der damalige Kulturreferent der Stadt Nürtingen.


Als dann die Stadt dem Verein ein Haus in der Laiblinstegstraße anbot, begann eine kaum zu glaubende Erfolgsgeschichte. Das Ehepaar Türk gab für die Renovierung aus eigenen Mitteln ein Darlehen, verpflichteten sich zur unentgeltlichen Eigenleistung, gewann ein paar Studierende und die späteren Dozenten Bailly und Helm zum Mitmachen, und nach nur einjähriger „Knochenarbeit“ begann im Mai 1977 der Unterricht. Thies: „Aus dem vergammelten Gebäude haben K. H. Türk und seine Mitarbeiter ein wirkliches Schmuckstück und Kunstwerk geschaffen, das seine künstlerische Handschrift trug und an der Außenfassade durch ein großes Relief ins Auge fiel.“

Das Unterrichtsangebot bestand damals aus den Fächern Grafik, Malerei, Bildnerisches Gestalten, Bildhauerei und Kunstgeschichte. Das überregionale Interesse bei den Medien und bei Studenten erwachte, und so entstand schon nach kurzer Zeit der Bedarf an neuen Räumlichkeiten. Die Stadt unterstützte den Wunsch, indem sie ein leer stehendes Fachwerkhaus – das „Äußere Werkhaus“ in der Metzinger Straße – anbot, das allerdings unter Denkmalschutz stand.

Dank des unermüdlichen Einsatzes des Ehepaars Türk und vieler Helfer wurde auch diese Renovierung geschultert. Die Fächerbereiche Keramik und Textiles Gestalten konnten ins Bildungsangebot aufgenommen werden, weil dafür attraktive Werkstätten geschaffen worden waren. Die weiteren Stationen des Ausbaus folgten.


Die Vision von Ilse und K. H. Türk, nämlich Kunst zu den Menschen zu bringen und mit Kunst die Menschen zu bilden oder gar zu heilen, richtete sich nun auf das Fachgebiet der Kunsttherapie.

Auch hier wurde nach Verhandlungen mit der Stadt eine Lösung gefunden, die beispielhaft war: die Villa Melchior in der Neckarstraße, in schlechtem Zustand und mit halb verbranntem Dachstuhl, wurde in einer konzertierten Aktion von Kunstschule, Stadt, Landkreis und Landesdenkmalamt im Jahr 1981 wieder nutzbar gemacht.


Eine Initiative der Freien Kunstschule verhinderte den Abriss

So richtig dramatisch wurde es dann im gleichen Jahr, als das größte Gebäude der Fabrik Melchior, die ehemalige Seidenspinnerei, vom Gemeinderat Nürtingen zum Abriss freigegeben wurde. Bekanntlich war bereits die Hälfte dieses Industriedenkmals von Baggern beseitigt worden, als eine Initiative der Freien Kunstschule den Abbruch stoppen konnte und den Gemeinderat überzeugte, „dass zumindest der ältere Teil der Fabrik erhaltenswert sei und die großen Räume sich für Unterrichtszwecke nutzen ließen“. Der Ausbau war 1984, dazu hatten auch rund 30 000 Arbeitsstunden von Dozenten und Studenten beigetragen.


Ein wichtiger Schritt war die Umwandlung des Vereins in eine Institution mit Zukunftsperspektive. Beim Regierungspräsidium Stuttgart wurde die „Errichtung einer Stiftung des bürgerlichen Rechts“ beantragt. Diese Organisationsform wurde Ende Februar 1984 genehmigt.Die Satzung sah sechs Vorstandsmitglieder vor und ein Stiftungskuratorium, das aus 19 Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, Kultur, Kirche und Wirtschaft bestand. Die Vorsitzenden dieses Kuratoriums waren übrigens Professor Eberhard Weinbrenner und Oberbürgermeister Alfred Bachofer.


Schließlich der Höhepunkt des langen Wegs des Aufbaus: das Ministerium für Wissenschaft und Kunst sprach im September 1987 dem Studiengang für Kunsttherapie die staatliche Anerkennung als Fachhochschule aus, inklusive finanzieller Beteiligung. Das jahrelange ehrenamtliche Engagement und intensive Planungs- und Kooperationsarbeit aller Beteiligten hatten sich gelohnt. Dass der neue Status überregional wahrgenommen wurde und mehr Studenten anlockte, ist verständlich.

Akute Raumnot führte zu einem weiteren großen Bauprojekt. Die Shedhalle der Firma Jenisch wurde als Hochschulgebäude umgebaut und eingerichtet. K. H. Türk wurde zum Rektor ernannt. Seine Frau Ilse blieb wie bisher im Hintergrund, aber unermüdlich im Einsatz, war täglich vor Ort, kümmerte sich beratend um die Studenten und führte Aufnahmegespräche.


An dieser Stelle kam Jürgen Thies auf seine eigene vielfältige ehrenamtliche Tätigkeit für die FKN und die neue Hochschule zu sprechen. Sie führte ihn schließlich in einen zeitlichen Konflikt mit seinem Beruf. Er entschied sich, mit Unterstützung seiner Familie, für einen „vollamtlichen“ Einstieg bei der Kunsttherapie-Hochschule als Verwaltungsdirektor und Dozent. Dies bedeutete, dass er seine Stellung bei der Deutschen Bank aufgeben musste. Eine schwere Entscheidung, die er aber nie bereute.


Noch drei Jahre arbeitete er mit dem Ehepaar Türk produktiv zusammen. Dann ging K. H. Türk 1993 in Pension und wurde mit seiner Ehefrau mit einem denkwürdigen Fest verabschiedet.

Jürgen Thies blickte auf seine damalige Rede über die „Gründerpersönlichkeiten“ zurück. Sie hätten beide mit beispiellosem Leistungswillen, persönlicher Opferbereitschaft und eigener Arbeitsleistung Institutionen geschaffen, die weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt seien, sagte er.