Bericht der Nürtinger Zeitung vom 06. Mai 2013, von Thilo Adam

Der Zauber der klingenden Sprache

Eduard Mörikes Alb-Gedichte:
Heide Mende-Kurz und Gunda Hentschel im Forum Türk

Gut aufeinander abgestimmt: Sprachkünstlerin Heide Mende-Kurz und Gunda Hentschel an der Harfe. tad

Innere Bilder wollen Heide Mende-Kurz und Gunda Hentschel durch Sprache und Musik entstehen lassen. In den Galerie-räumen des Forums Türk präsentierten die Schauspielerin und die Harfenistin am Samstagabend ihr Programm
„Mörike und seine liebe Alb“.

In der szenetypischen – nicht unbedingt unprätentiösen – Formulierung versprach das Programm dem kleinen Kreis, der dem laut-bunten Musiknachttreiben widerstand und stattdessen in die Sigmaringer Straße kam, „lyrisch-musikalische Kostbarkeiten“.

Unter Lyrikfans kann man sich schnell darauf einigen, dass erst die klingende Sprache, das gesprochene Wort, der Dichtkunst zu voller Entfaltung verhilft. Wie in der Musik, wo der Anblick einer Partitur nur bei den wenigsten eine ähnliche Wirkung hervorruft, wie der gehörte Klang.

So kam es am Samstag zwischen den Bildern und Skulpturen von Ulrike Jacobi und Monika Majer zu einem seltenen Zusammentreffen der Künste; der inneren und äußeren Bilder. Sind die Werke der bildenden Kunst nach klassischem Verständnis losgelöst vom Einfluss des Augenblicks, ist dieser bei der reproduzierenden Gestaltung von Musik und Lyrik entscheidendes Moment.



Folgerichtig schlug sich die Bedeutung des Zeitlichen auch in der Programmfolge nieder: Einen ganzen Tag vom Aufstehen „In der Frühe“, dem „Septembermorgen“, über einen „Besuch in Urach“, bis zur bedächtigen Stimmung „Um Mitternacht“ durchschritt Heide Mende-Kurz mit Texten des „schwäbischen Goethe“. Exzellent verzahnte Gunda Hentschel ihr Spiel mit den ausgewählten Texten.


Was Mörike schon im Metrum verbildlicht, etwa in seinem „Lied vom Winde“, erweiterten Hentschels rauschende Arpeggien in ausdrucksstarken Variationensätzen. – Auch ihre Ein- und Ausstimmungen zum Prosatext aus dem „Stuttgarter Hutzelmännlein“ trafen die zwischen pragmatisch-heiter und trotzig-zerrissen schwankende Stimmung des wandernden Protagonisten Seppe.

„Als Heide mir zum ersten Mal die ausgewählten Texte für dieses Programm vorgelesen hat“, erzählt sie über die Künstlerkollegin Mende-Kurz, „hab ich wohl auf Anhieb die richtigen Stichworte genannt. Passende Themen und Stücke zu finden ging dann fast von allein.“

Auch die Sprachkünstlerin erwies sich als Glücksgriff für den Möriketext. Mit ihrer dunklen, teils spröden, immer wandlungsfähigen Stimme rang sie dem Werk des zwischen jugendlichem Überschwang, schlitzohrig-hintersinniger Wirrköpfigkeit und schwärmerischer Melancholie pendelnden Eduard neue Facetten ab.

1827 war Mörike als Vikar nach Köngen gekommen. Sein Leben lang haderte er mit dem Pfarrberuf und dennoch wollte er „nicht ganz Dichter“ sein. Sein erster Brief aus Köngen lässt sich dann auch auf die Sätze „So bin ich denn hier; ich kann Dir nicht sagen wie gerne. Die Gegend, die Leute im Haus – alles ganz ander und feiner Korn als in dem Möhringen“ herunter brechen.

Diesem Brief lag auch sein im selben Jahr entstandenes Gedicht „Besuch in Urach“ bei. Die beiden Künstlerinnen hatten es in ihrem Programm an den Höhepunkt gesetzt. „Oh hier ists, wo Natur den Schleier reißt!“, meint Mörike, „sie bricht einmal ihr übermenschlich Schweigen.“

Für Heide Mende-Kurz ist die klingende Sprache ein Erlebnis, das heute viel zu selten die angemessene Würdigung erfährt. „In der Schule zerpflücken wir Gedichte, analysieren sie bis ins Detail. Dem Zauber dieser großartigen Werke entfernen wir uns dabei aber. Durch das Vortragen und Hören erst wird er erlebbar."